Nachdem ich unfreiwillig vom Camino del Norte auf den Camino Francés gewechselt habe, ging es heute Morgen in Sarria los. Anfänglich noch Regen, so dass ich meinen neuen Poncho gleich ausprobieren konnte. Die Herbergen, die jetzt in der Nebensaison noch geöffnet haben, sind oft trotzdem voll. Trotz unwirtlichen Wetters sind auf dem Hauptweg doch einige Pilger unterwegs. Der Camino bekommt jetzt immer mehr den Charakter eines Weges, der seit vielen Jahrhunderten gepflegt wird. Seltsam verkrüppelte Bäume und moosbewachsene Mauern aus gestapelten Bruchsteinen. Irgendwie ein wenig märchenhaft und surreal. Im Laufe des Tages klart das Wetter richtig auf. Die Sonne scheint seit Wochen einmal wieder. Das weckt gleich die Lebensgeister bei einer kleinen Rast im Stehen. Die Einheimischen bieten regelmäßig am Wegesrand Stärkungen für Pilger an, zwar ohne Preisliste, aber eine freiwillige Spende wird doch erwartet.
Unterwegs treffe ich Pilger aus Vorarlberg: Sandra ist dort zusammen mit Ihrer Tochter selbständig. Sie ist von zu Hause aus vor fünf Monaten mit einem 100 Liter 28 kg Rucksack losgelaufen, hat ein Saxophon, eine Ukulele und ihren Hund dabei und zeltet hin und wieder im Freien. Wahnsinn! In unserer Pause treffen wir auch zwei Südkoreaner. Wir Männer versuchen Sandras abgelegten Riesenrucksack hochzuheben und haben alle sichtlich Mühe damit. Sogar ihre rüstige Mutter ist in Burgos dazugestoßen und geht den Rest des Weges mit. Unterwegs trifft man auch auf Pilgershops in Scheunen, die natürlich auch nicht fehlen dürfen. Viele Bauernhäuser stehen hier zum Verkauf. In jedem Dorf und in jeder kleinen Häuseransammlung findet man Häuser mit dem Schild „Se Vende“. Man kann verstehen, wenn die Bauern hier froh sind, wenn sie am Camino ein paar Kröten dazu verdienen können. Reich werden sie durch die Pilger ohnehin nicht. Aber es verbreitet eine sehr angenehme Atmosphäre. Die Menschen sind sehr gastfreundlich, grüßen jeden Pilger und rufen „Buen Camino“. Trotz der Pilgermassen im Sommer, bewahren sich die Menschen hier eine besondere Freundlichkeit gegenüber den Fremden, die aus der ganzen Welt hier entlanglaufen. Der Weg, die Landschaft, die Menschen, ein nicht alltägliches Gefühl. Irgendwie hat dies etwas Spirituelles, egal ob gläubig oder nicht.